Johanna Eichmann, 2012 – Wikipedia

Teil 1: Vorspann: Ruth Eichmann geboren am 24. Februar 1926 in Münster starb am 23. Dezember 2019 in Dorsten.

Ihre Mutter war Jüdin, ihr Vater katholischer Christ – in ihrer Familie wuchs Ruth Eichmann als Jüdin auf. Sie ging in Dorsten zur Schule und überlebte die Nazi-Zeit. Nach ihrem Sprachenstudium trat sie 1952 als Nonne bei den Ursulinerinnen in Dorsten ein. Sie war bis zu ihrem Ruhestand tätig im Gymnasium der Ursulinerinnen in Dorsten, viele Jahrzehnte als Schulleiterin. Emanzipatorisch wie sie sich verstand modernisierte sie diese Ordensschule und den Orden im Sinne moderner Pädagogik des „Aufrechten Ganges“ (Ernst Bloch) und des 2. Vatikanischen Konzils.

Auch auf ihr Wirken in Dorsten geht das dortige Jüdische Museum Westfalen zurück, ein inzwischen wichtiger und überregional anerkannter Ort für das Judentum in Westfalen und das Leiden in der Shoah. Sie lebte und reflektierte ihre zwei Identitäten jüdisch und christlich; d.h.die jeweils Anderen mitdenkend.Darin inspirierend und beispielhaft. Sie
hat ihr Leben beschrieben in den beiden Bänden: Johanna Eichmann: „Du nix Jude, Du Blond,Du Deutsch“ Erinnerungen 1028 – 1952 (2011 im Verlag Klartext, Essen) Johannes Eichmann: Die Rote Johanna, Erinnerunen 1952 – 2012 (2013 im
Verlag Klartext,Essen).

Teil 2: Norbert Reichling (Leiter Jüdisches Museum Westfalen in Dorsten)
sprach am 2. Januar 2020 bei der Trauerfeier in der Kirche St.Ursula in
Dorsten das hier folgende Dankeswort:

Trauerfeier 2.1.2020

Nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit und Freundschaft mit Schwester Johanna (für einige aus dem Museum sind es fast 40 Jahre) etwas Resümierendes zu sagen, fällt mir unendlich schwer. Ich bin quasi als Lehrling ins Jüdische Museum gekommen und wurde von Johanna mit freundlicher Strenge aufgenommen, durfte später in ihre Fußstapfen schlüpfen.

Was konnten wir von ihr alles lernen! Das lässt sich kaum ermessen, nur Weniges kann ich kurz nennen:

Ihre Genauigkeit würde ich hervorheben – im Sprechen, im Denken, im Formulieren, aber auch im Zuhören. Das ist für mich keine Sekundärtugend, sondern eine Form der Zugewandtheit zu den Menschen.

Ihre Großzügigkeit muss erwähnt werden – sie hatte keine Scheu, Themen und Angelegenheiten abzugeben, Rat anzunehmen, verschiedene politische, religiöse, wissenschaftiche Positionen auszuhalten.

Johanna Eichmanns Auffassung von Bildung – sie steht damit ja in ursulinischer Tradition – fand ich sehr modern: sie traute Bildung viel zu, sah sie immer und zwingend mit Freiheit – im Lernen und durch das Lernen – verbunden und hat im Jüdischen Museum ein umfassendes Angebot gemacht, an dessen Profil wir bis heute festhalten.

Das Thema „Gemeinschaft“ darf ebenfalls nicht fehlen: die Gemeinschaft in ihrem Konvent und der Schulgemeinde waren für sie ein lange entbehrtes Lebenselixier, von dem sie für all ihre weitgespannten Aktivitäten zehrte. Und ein bisschen stolz sind wir im Museum, dass sie in den letzten Jahren auch von uns als ihrer dritten Familie sprach, die ihr nicht nur Anerkennung, sondern auch ein „Aufgehobensein“ bot.

Das hängt wohl damit zusammen, dass diese Mitarbeit in der frühen Forschungsgruppe und im Jüdischen Museum ihr erlaubt hat, an die eigenen Wurzeln anzuknüpfen, sich mit ihrer Herkunft zu versöhnen, die vermeintliche Spannung zwischen der Jüdin Ruth und der Christin Sr. Johanna zu reflektieren und aufzulösen – in den Worten ihrer Großmutter „Unser Rüthchen bleibt ein Jüdchen.“ Die innerkirchlichen Entwicklungen, die ein solches Denken zuließen, will ich nicht kommentieren, aber doch erwähnen, dass der christliche Antijudaismus leider bis heute nicht gänzlich ausgestorben ist.

Zum Thema „Wurzeln“ gehört aber auch eine Beobachtung, bei der ich zunächst unsicher war, ob sie hier nicht zu indiskret ist. Aber, so sage ich mir, Johanna hätte mir zugeraten, es zu erwähnen: Wir konnten, wir mussten auch an ihrer Person lernen, dass die Verletzungen, die einem Kind durch Diskriminierung und Verfolgung zugefügt werden, meistens lebenslang bleiben. Das ist als Abstraktion recht bekannt, aber konkret zu sehen, dass eine geachtete, reife, umfassend gebildete und vielfach ausgezeichnete Persönlichkeit auch im hohen Alter noch den „Risches“, den antisemitischen Exzess, fürchtet, ist eine deprimierende Einsicht. Versuchen wir doch wenigstens, daraus für unseren heutigen Umgang mit Minderheiten zu lernen!

Das Gedeihen des Museums, seine Weiterentwicklungen waren für Schwester Johanna bis zuletzt ein Quell der Freude; wir fühlen uns verpflichtet, die von ihr mitgestiftete Tradition einer aufklärenden und in der Stadt und der Region folgenreichen Arbeit immer wieder neu zu beleben. Der hebräische Segenswunsch „Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.“ wird sich, so glaube ich, erfüllen: die Kräfte, die Johanna Eichmann in die verschiedenen Sphären ihres Lebens einbrachte, werden dort mit Sicherheit weiter wirken.

Danke, Johanna, und Schalom!

Quelle: www.Jüdisches Museum Westfalen Dorsten

Nach dem katholisch-christlichen Trauergottesdienst am 2. Januar 2020 zog der Trauerzug hinter dem Sarg von St. Ursula (Kloster und Gymnasium) zum Jüdischen Museum Westfalen und weiter zum Friedhof. Auch am Schultor gab es dabei eine Pause, wo das Lied angestimmt wurde: „Die Gedanken sind frei“. Am Grab sang Vorbeter und Kantor Isaac Tourgman von der Jüdischen Kultusgemeinde Kreis Recklinghausen das Kaddisch, zusammen mit zwei Gemeindegliedern.

Teil 3: Wegbegleitend und Wege eröffnend wirkte Ruth Sr.Johanna Eichmann
auch in Marl.

Sie unterstützte schon bald Zielsetzung und Arbeitsweise der CIAG Marl, die es seit 1984 gibt – wir hatten uns getroffen und vertrauen gelernt ab 1990 bei einem monatlichen Kaffeeklatsch im Haus an der Bachstrasse in Marl-Hüls bei unserer damaligen jüdischen Nachbarin Edith Hillbrenner (Großmutter von Lorenz Beckhardt, Schirmherr des 19.Abrahamsfestes Marl 2019).

Auf einer Abrahamitischen Spur und musisch denkend entwickelten etliche Menschen schon in den 1990er Jahren in Marl das mehrjährige Projekt: „Musik der Juden, Christen und Muslime – auf der Suche nach gemeinsamen Wurzeln“, mit den Themen:

# „Gregorianik – Die Musik der Liturgie des frühen Mittelalters“ im Mai 1988 – beratend und aktiv: als international anerkannter Gregorianik-Fachmann: Godehard Joppich (geb, 1932) bis zu seinem Ausscheiden Benediktiner in der Abtei Münsterschwarzach, Professor in Essen und Hannover.
# „Die Musik der Thora und der Propheten – Sakrale Musik der Synagoge“ im November 1988 – beratend und aktiv: Ruth Schwester Johanna Eichmann (s.o.)
# „Gesänge der frühen russischen Orthodoxen Kirche“ im Mai 1992 – beratend und aktiv der russisch-orthodoxe Theologe und Musikwissenschaftler Nikolaus Thon (1946 – 2014) – u.a. Ensemble SIRIN aus Moskau
# „Islam:Mystische Gesänge – Koran-Rezitation“ im September 1993 – beratend und aktiv: unvergessen: Annemarie Schimmel (1922 – 2003)
# „Alte Musik der Juden, Christen und Muslime“ im Oktobver 1995 – als „Best-Of“ der ganzen Reihe seit 1988.
Ruth Sr. Johanna Eichmann begleitete das ganze Projekt. Dadurch wuchs Vertrauen zwischen den AkteurInnen und Gemeinden im nördlichen Ruhrgebiet, was sich als tragfähig erwies für das jährliche Projekt Abrahamsfest seit
2001.

Hartmut Dreier