Wolf-Dieter Just

Rede bei der Demo der Seebrücke am 1.9.2018 in Duisburg

Ich beginne mit einem Zitat:

„Internationale Verhandlungen, einberufen, um die Frage zu erörtern: „Wie schützt man die Flüchtlinge?“ beschäftigen sich vor allem mit der Frage: „Wie schützen wir uns vor ihnen?“

Oder, durch ein Gleichnis ausgedrückt: Ein Mensch wird hinterrücks gepackt und in den Strom geschmissen. Er droht zu ertrinken. Die Leute zu beiden Seiten des Stromes sehen mit Teilnahme und wachsender Beunruhigung den verzweifelten Schwimmversuchen des ins Wasser Geworfenen zu, denkend: wenn er sich nur nicht an unser Ufer rettet!“

Wer hat dies wann geschrieben? Ist der Text auf die Mitgliedsstaaten der EU gemünzt? Er passt genau! Aber er ist schon 80 Jahre alt, stammt aus dem Jahr 1938. Autor ist Alfred Polgar, Essayist, Literatur- und Theaterkritiker, der als österreichischer Jude und Antifaschist schon 1933 aus Berlin fliehen und in anderen Ländern Schutz suchen musste. Polgar denkt hier an die internationale Flüchtlingskonferenz in Evian, Juli 1938, die den Problemen der jüdischen Auswanderung aus Deutschland gewidmet war und die in einem Desaster endete. Auch nach der Konferenz, an der 32 Staaten teilnahmen, fanden die zahlreichen Juden, die dem NS-Staat entfliehen wollten, so gut wie keine aufnahmebereiten Immigrationsländer — und endeten schließlich in den Gaskammern.

 

Leider scheint die Erinnerung an dieses Verbrechen heute niemanden mehr zu interessieren. Warum auch? Wir Deutschen, wir Europäer, sind doch eine Wertegemeinschaft. So hören wir es jedenfalls ständig von unseren Politikern – von J.C.Juncker, über Merkel bis zu Seehofer. Unausgesprochen klopft man sich auf die Schulter: „Wir haben Werte“ – und dabei schwingt immer eine Abgrenzung mit gegenüber den anderen, – denen, die so tolle Werte nicht haben.

 

Und in der Tat: Wenn wir ins GG schauen, Art 1, dann einen das deutsche Volk großartige Werte: Die Würde des Menschen ist in Deutschland oberste Verfassungsnorm, bindet alle staatliche Gewalt – und zwar die Würde jedes Menschen, auch jedes Flüchtlings – egal welcher Herkunft und Hautfarbe. Und – wie es weiter heißt – bekennt sich das deutsche Volk „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten“

Ähnlich die Grundrechtecharta der EU:

„In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität…“

Im Folgenden bekennt sich die Charta ausdrücklich zum Recht auf Leben und „körperliche wie geistige Unversehrtheit“ jeder Person (Art. 3), zum Asylrecht, zur Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention (Art 18) und zum rechtlichen und sozialen Schutz der Familie.(Art 33)

Also alles in Butter? Leider aber schaut diese tolle Wertegemeinschaft einfach zu, wie Jahr um Jahr Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa zu tausenden im Mittelmer ertrinken. Ja, sie lässt noch nicht einmal zu, dass Mitbürger, die noch ein Gewissen haben, die Ertrinkenden retten. Seenotretter werden wie Kriminelle behandelt.

Ständig werden wir auch von Politikern an unser christliches Erbe erinnert. Bayern hängt dafür in allen Amtsgebäuden Kreuze auf. Wichtiger wäre es wohl, mal einen Blick in die Bibel zu werfen.

Kein Gebot wird im Alten Testament so oft wiederholt, wie das Gebot, Fremde nicht zu unterdrücken, sondern sie zu lieben und sogar rechtlich gleichzustellen (3. Mose 24, 22). Das AT geht von der Gottebenbildlichkeit jedes Menschen aus. Jedem kommt diese von Gott verliehene Würde zu. Und auch das Gebot der Nächstenliebe kennt keine nationalen Grenzen.  

Mit den Flüchtlingen rückt uns Europäern die ungleiche Entwicklung auf unserem Globus unmittelbar auf den Leib. Sie sind Botschafter einer ganz anderen Welt, als der unseren, die wir in Sicherheit und Wohlstand leben – einer Welt von politischer Verfolgung und Bürgerkrieg, Hunger und Elend – von Fluchtursachen, zu denen die westliche Welt selbst erheblich beiträgt – durch Waffenlieferungen in Krisengebiete (z.B. Panzer an Saudi-Arabien und Katar), Unterstützung von Diktaturen, unfaire Handelsbedingungen, und hohen CO-2 – Ausstoß, unter dem am meisten die Länder südlich der Sahara durch Dürre und Hunger zu leiden haben, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen.

Gibt es Hoffnung?

Ja, das zeigt die ständig wachsende Zivilgesellschaft in Deutschland und Europa. Sie ist nicht länger bereit, den krassen Widerspruch zwischen dem Anspruch einer menschenrechtsbasierten Wertegemeinschaft und der asylpolitischen Wirklichkeit hinzunehmen. Sie fragen – was sonst heute kaum noch geschieht – warum eigentlich Menschen fliehen. Sie zeigen Mitgefühl und praktische Solidarität über alle nationalen Grenzen hinweg, als Bürger dieser einen Welt.

Zu ihnen gehören auch alle Mitglieder und Unterstützer der Seebrücke. Ihren Forderungen kann ich mich nur anschließen – ich muss sie hier nicht noch einmal wiederholen.

Nur zur Kriminalisierung der Seenotretter: Haben sich die Verantwortlichen denn nicht über die Rechtslage informiert, das Seerecht, dass Schiffe zur Rettung Schiffbrüchiger verpflichtet – und die Genfer Flüchtlingskonvention, die auch auf dem Mittelmeer gilt (Hirsi-Urteil des EGMR von 2012).

Und natürlich sollte auch die Politik in Duisburg klare Zeichen setzen und sich anbieten, Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet wurden, aufzunehmen wie es andere Städte tun. Das wäre sehr viel mehr wert als die Forderung von Sören Link nach Ankerzentren, mit denen Flüchtlinge durch bloße Schikane entmutigt werden sollen, Asyl in Deutschland zu suchen.

Ich bin sehr froh über diese Veranstaltung heute. Lasst uns weiterkämpfen und viele werden – dann wird die Politik nicht länger die Verbrechen im Mittelmeer übergehen dürfen!

Wolf-Dieter Just ist Mitherausgeber von AMOS und Ehrenvorsitzender der Bundesarbeitsgemeisnchaft Kirchenasyl in Deutschland, er lebt in Duisburg und ist Professor an der Ev. Hochschule Bochum und in der (Staatlichen) Fachhochschule in Düsseldorf (sein Fach:Sozialethik).