Fotos: Ralf Deinl, Medienhaus Bauer/Marler Zeitung
19. Abrahamsfest Marl 24. Sept. 2019
Pressebericht:
Deutlicher Weckruf: „Wer die Vergangenheit begreift, gewinnt die Zukunft“.
Am 23. Sept. 2019 wurden auch die letzten Stühle voll, als Lorenz Beckhardt (Schirmherr des 19. Abrahamsfestes Marl Herbst 2019) zum Thema sprach „Wer die Vergangenheit begreift, gewinnt die Zukunft“. Im Gemeindezentrum an der Herz Jesu Kirche am Markt in Marl-Hüls wurden die letzten Stühle aus den Ecken geholt, weil der Andrang so groß war. Beckhardt ist Wissenschaftsredakteur beim WDR und Autor des Buches „Der Jude mit dem Hakenkreuz. Meine deutsche Familie“ (2014).
Es war ein sehr aufrüttelnder Abend, in einer sehr lebendigen Dramaturgie. Statt eines Vortrages mit anschließender Diskussion ließ sich Beckhardt interviewen. In drei Abschnitten ging eine Art Zeitreise durch Vergangenheit und Gegenwart. Silvia Frank stellte Fragen zum Kaiserreich und Weimarer Republik, zu seinen Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits: Großvater Fritz Beckhardt als hochdekorierter Kampfpilot im 1. Weltkrieg für das deutsche Kaiserreich und dann erfolgreicher Kaufmann in Wiesbaden; seine Großeltern mütterlicherseits Familie Hillbrenner in Marl-Hüls. Hartmut Dreier stellte Fragen zur Nazi-Zeit: zum Erleiden der Großeltern, Eltern und Verwandten, deren Verfolgung als Juden, Emigration, Ermordung und Überleben. Muhammet Catmak befragte zur Zeit von 1945 bis heute. Dazu kamen jeweils viele Fragen aus dem großen Publikum, u.a. von SchülerInnen der Willy Brandt Gesamtschule und des ASGSG.
Lorenz Beckhardt erfuhr erst als junger Erwachsener davon, dass er selber Jude sei, aus einer ganz überwiegend jüdischen Familie stammt. Denn seine Familie wollte, dass er – geboren 1961 – unbeschwert aufwachse und so wurde er in Bonn in einer kath. Internatsschule groß. Er bekennt sich inzwischen als Jude und unterstützt eine „liberale“ jüdische Gemeinde in Köln.
Breiten Raum nahm ein, wie die AfD und die derzeitige rechtsradikale Entwicklung hierzulande zu beurteilen ist. Beckhardt spricht von einem erschreckenden anhaltend „schleichenden Prozess“ – im Alltag, in Parlamenten und im politischen Handeln, bei Jung und Alt: Verdrehung von „Fakten“ , gezielte Tabubrüche, „völkisches“ Reden mit Ausgrenzungen, ein Marsch durch die Institutionen, der einen andern, autoritären und totalitären Staat ansteuert. „Die Notbremse“ sei zu ziehen. Beckhardt: Die neuen Nazis betreiben eine „Selbstverharmlosung“, verstellen sich oft als Biedermänner und streben an, die moderne pluralistische Demokratie des Grundgesetzes abzuschaffen – auf dem Weg über Wahlen. Beckhardt: „Wir dürfen das nicht noch mal zulassen!“
Gez. Hartmut Dreier